Haus der Kunst

Rebecca Horns Vision in München

Rebecca Horn, Ausstellungsansicht, Haus der Kunst München, 2024, Foto: Markus Tretter © VG Bild-Kunst, Bonn 2024

In der Verbindung von Mensch, Maschine und Tier entführen Rebecca Horns visionäre Hybride in eine verspielte Welt der technisch-räumlichen Extension.


Spielerische Hybride von Mensch, Maschine und Tier

Unter dem Einfluss von Surrealismus, Fluxus, Performance-Kunst und neuen Technologien entwickelte Rebecca Horn eine einzigartige künstlerische Sprache, in der sich ihrer Zeit voraus eine queere und hybride Körperlichkeit offenbart. Sinnbildlich dafür steht die kinetische Skulptur „Kuss des Rhinozeros“ (1989) am Anfang ihrer Retrospektive im Haus der Kunst, in der sich zwei Tierhörner an mechanischen Armen zu einem geschlossenen Kreislauf verbinden und ihre elektrische Spannung in einem vermenschlichten Akt der körperlichen Anziehungskraft entladen.
Die Befreiung von traditionellen körperlichen Zuschreibungen führte sie in frühen Body-Art-Experimenten vor, in welchen sie Körper mit bunter Farbe bemalte, mit künstlichen Haaren bedeckte oder sie ganz verschwinden ließ. Die Ausdehnung des Körpers in den Raum sowie sein Verhältnis zur umgebenden Architektur und Landschaft erkundete sie hingegen mit tragbaren, langgliedrigen Stoffprothesen wie Handschuhen, die sie zur Erweiterung ihrer manuellen Sensibilität einsetzte.

Rebecca Horn, Kiss of the Rhinoceros, geöffnet, Stahlkonstruktion, Aluminium und Motor, 1989, Foto: Gunter Lepkowski, Archiv Rebecca Horn © VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Rebecca Horn, Kiss of the Rhinoceros, geöffnet, Stahlkonstruktion, Aluminium und Motor, 1989, Foto: Gunter Lepkowski, Archiv Rebecca Horn © VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Neben der Körpererweiterung ging es ihr auch um die Veränderbarkeit der sinnlichen Körperwahrnehmung. Dies erkundete sie durch Kostüme, besetzt mit Spiegeln oder Schläuchen, Masken aus Federn oder indem sie in nicht-menschliche Existenzformen schlüpfte, wie in der märchenhaften Selbstinszenierung „Einhorn“ (1970–1972).

Rebecca Horn, Einhorn, C-Print (Kontaktabzug), 1970, Archiv Rebecca Horn, © VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Rebecca Horn, Einhorn, C-Print (Kontaktabzug), 1970, Archiv Rebecca Horn, © VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Die sechs Jahrzehnte umspannende Ausstellung, kuratiert von Jana Baumann, setzt den Fokus auf Aspekte der Performativität im Werk der 1944 in Michelstadt im Odenwald geborenen Künstlerin. Neben zahlreichen erstmals digitalisierten Videos von Performances verdeutlichen auch Tanzelemente und Musikinstrumente als Teile ihrer Installationen, dass Bewegung und Rhythmus wesentliche Bezugspunkte für Horns Arbeitsweise waren. Streng choreografierte Bewegungsabläufe wie im klassischen Ballett dekonstruierte sie jedoch zunehmend oder übertrug sie auf motorisierte Objekte. In der Weiterentwicklung entstanden mechanische Skulpturen wie „Pfauenmaschine“ (1982) mit langen Aluminiumspitzen, deren Bewegung auf monströse Weise der eines sich aufstellenden Pfauenrads gleicht. Auch Schmetterlinge und Skarabäen verband Horn in kinetischen Skulpturen zu Tier-Maschinen-Hybriden. 

Rebecca Horn, Ausstellungsansicht, Haus der Kunst München, 2024, Foto: Markus Tretter © VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Rebecca Horn, Ausstellungsansicht, Haus der Kunst München, 2024, Foto: Markus Tretter © VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Der Einfluss des Surrealismus macht sich besonders bemerkbar in den wiederkehrenden Erscheinungen von Vögeln, Federn und Flügeln. In einem Video performt Horn zusammen mit einem Papagei, den sie durch ihre Körpersprache und mit tierischen Lauten imitiert. Eine andere Filmarbeit zeigt sie in einer Landschaft mit riesigen Armfächern als Flügel, die sie versucht gegen den Wind zu beherrschen – selbst Tier zu werden, abzuheben. Über die Feder wird immer wieder auf die taktile Ebene des Fühlens erinnert. Symbolisch führt Horn hier eine Befreiung von der menschlichen Natur und den Ausbruch aus den Restriktionen und Determinationen des von der Gesellschaft geschaffenen Käfigs vor.

Installation direkt aus einem Traumbild

Für ihre Ausstellung im Guggenheim New York entstand 1993 eine raumhohe Installation aus nackten, ineinander gesteckten Bettgestellen und elektrischen Drähten. Verspielt und brutal zugleich, lassen die in schwindelerregender Höhe tanzenden Betten an ein Traumbild denken, die Funken an die kognitiven Verarbeitungsprozesse des Gehirns im Schlaf. Mit der Herkunft der Betten aus einer psychiatrischen Klinik thematisiert Horn aber auch einen Ort der Krankheit und Heilung. Die psychologischen Selbsterkundungen aus ihrem Frühwerk finden sich später in raumgreifenden Installationen wieder angedeutet. So auch in einem motorisiert peitschenden Hanfseil, dessen Bewegung und Materialität an eine Schlange erinnern und dass Horn ortsspezifisch für die Kapelle einer Pariser psychiatrischen Einrichtung schuf. In späteren Werken übernimmt die malerische Geste, jedoch auch hier mal von Hand und mal von einer Maschine ausgeführt.

Rebecca Horn, Ausstellungsansicht, Haus der Kunst München, 2024, Foto: Markus Tretter © VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Rebecca Horn, Ausstellungsansicht, Haus der Kunst München, 2024, Foto: Markus Tretter © VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Haus der Kunst

Prinzregentenstraße 1, 80538 München
Deutschland

Rebecca Horn

bis 13. Oktober 2024

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