Kunst im Sommer in Paris

Paris: Zwei Ausstellungen, die Sie nicht verpassen sollten

KIMSOOJA, To Breathe — Constellation, 2024, View of the exhibition “Le monde comme il va”, Bourse de Commerce – Pinault Collection, Paris, 2024. © Tadao Ando Architect & Associates, Niney et Marca Architectes, agence Pierre-Antoine Gatier. Photo: Florent Michel/11h45/Pinault Collection. © Kimsooja/ADAGP, Paris, 2024.

Die Pinault Collection präsentiert eine Reise durch die meditative Kunst von Kim Sooja, die mit ihren "Moon Jars" und Spiegelinstallationen die Balance zwischen Tradition und Moderne erforscht. Gleichzeitig lädt die Ausstellung "Le monde comme il va" dazu ein, die Realität durch provokative und humorvolle Werke wie Bertrand Laviers gecrashten Ferrari oder Wolfgang Tillmans' eindringliche Fotos der Concorde neu zu betrachten. Beide Ausstellungen bieten einen tiefen Einblick in die aktuellen Trends und Themen der Kunstwelt – und versprechen inspirierende Erlebnisse in der französischen Hauptstadt.


Schwebend im Spiegelstadium

Für ihre „Moon Jars“ setzt Kim Sooja zwei Schalen aus Ton zusammen. Anders als ihre Kollegin Young Sook Parknutzt sie nicht Porzellan, sondern Ton, aus dem sie ovale Kugeln bildet. Ein Ganzes zusammenfügen – ist das ein Kommentar zur Teilung ihres Heimatlandes? „Ah, tatsächlich, das könnte man so sehen!“, ruft die 1957 in Südkorea geborene Künstlerin. Bei der Entstehung des Konzepts, das eine Tradition der Joseon-Dynastie (1392–1910) aufgreife habe das aber nicht im Vordergrund gestanden. Vielmehr setze sie ihre seit 1994 auf Weben und Nähen, Verbinden und Umgeben konzentrierte Arbeit fort. 

In der Pinault Collection liegen die Objekte in Vitrinen. Auch die Yogamatte, nach zehn Jahren Nutzung mit Spuren wie das Schweißtuch der Veronika. Oder eine Schale mit Porridge, „einfache Nahrung“. Man könne auch von einem Spitzenkoch komponiertes Porridge im Restaurant essen, ruft Sammlungsleiterin Emma Lavigne freudig dazwischen. Peinlich, wenn Luxus die Armenspeise nobilitiert. „Ich wurde als Malerin ausgebildet“, fährt Kim Sooja fort, „empfinde mich noch immer als solche, suche mit verschiedenen Materialien nach Stille und Präsenz des Körpers.“ 

Mit dem Video „Needle Woman“ wurde sie berühmt in Pinaults Sammlung aufgenommen. Unbeweglich steht sie in New York, Shanghai, Delhi und Tokyo, eine lebende Skulptur. „In der Mitte habe ich mit dem Blick gewebt, in virtueller Leere“, erläutert Kim Sooja ihr Hauptwerk. Der gesamte Boden des kreisrunden Mittelsaales der Bourse de commerce ist mit Spiegeln ausgelegt. Wer hier eintrete, werde „von der Welt umgeben“, sagt die Künstlerin, „wie in einem Moon Jar optisch zwischen zwei Kuppeln in der Spiegelung eingepackt.“ Laut Jacques Lacan bildet sich mit dem Blick in den Spiegel das Subjekt als Ich. Eine Illusion von Einheit, sieht sich das Spiegel-Ich doch immer nur teilweise. Kim Sooja löst die Illusion auf: als Figur im Ausstellungsraum.

Carte blanche à Kim Sooja
bis 2. September 2024

KIMSOOJA, To Breathe — Constellation, 2024, View of the exhibition “Le monde comme il va”, Bourse de Commerce – Pinault Collection, Paris, 2024. © Tadao Ando Architect & Associates, Niney et Marca Architectes, agence Pierre-Antoine Gatier. Photo: Florent Michel/11h45/Pinault Collection. © Kimsooja/ADAGP, Paris, 2024.

KIMSOOJA, To Breathe — Constellation, 2024, View of the exhibition “Le monde comme il va”, Bourse de Commerce – Pinault Collection, Paris, 2024.
© Tadao Ando Architect & Associates, Niney et Marca Architectes, agence Pierre-Antoine Gatier. Photo: Florent Michel/11h45/Pinault Collection. © Kimsooja/ADAGP, Paris, 2024.


Ein Kessel Buntes

Was haben ein zerbeulter Straßenflitzer, drei als Pudel verkleidete Männer und die Concorde beim Start gemeinsam? Sie alle bezeugen “Le monde comme il va“ – die Welt, wie sie eben so ist: ein großer gemeinsamer Nenner in den Räumen der Pariser Bourse de commerce – Pinault Collection. Man habe, sagt Kurator Jean-Marie Gallais, die Bedeutung und Besonderheit der Sammlung Pinault vermitteln wollen. Vor allem, darf man hinzufügen, wollte man über die reine Kumulation hinaus auch Sinn produzieren. Das gelingt: Bertrand Laviers Ready-made „Dino“, für das er 1993 einen gecrashten Ferrari Dino 308 GT4 in den Ausstellungsraum stellte, ist ikonisch. Genauso „P is for Poodle“, 1983 von dem kanadischen Trio General Idea in Lack auf Vinyl gedruckt – die homophobe Beschimpfung „Poodle“ wird verulkt. Wolfgang Tilmans’ 1997 erstellte Fotoserie „Concorde L449-19, 21, 22, 23, 25, 27, 28“ ermöglicht eine Anbindung ans Aktuelle, wenn man die wie die Dokumentation eines bevorstehenden Absturzes wirkenden Bilder als ökokritischen Kommentar zur Flugscham liest. 

Jenseits solcher Sinngebungen besticht die Qualität der Werke. Pinault, der seinerzeit viel in Ateliers ging, die Nähe der Künstler suchte, hat ein geschliffenes Auge und eine sichere Hand. Peter Doigs fast drei Meter hohes Ölgemälde „Pelican (Stag)“ (2003/04) zeigt das. Auch Luc Tuymans' „Eternity“ aus dem Jahr2021, das auf 314,9 × 275,4 Zentimetern einen Atompilz wie einen roten Zuckerapfel in Öl auf Leinwand bläht. Pinault sammelt nicht nur große Namen: Frank Walter, 1953 aus der Karibik neugierig nach Europa gereist, dort diskriminiert, pauperisiert, verarbeitete diese Erfahrung in kleinen Ölgemälden. Sie zählen in der Schau zu den stärksten Dokumenten dieser Welt, wie sie eben so ist. Um sie zu sehen, muss man 14 Euro an den Milliardär François Pinault bezahlen. Danach will man sie vielleicht auch verändern, diese Welt.

Le monde comme il va
bis 2. September 2024

View of the exhibition “Le monde comme il va”, Bourse de Commerce – Pinault Collection, Paris, 2024. © Tadao Ando Architect & Associates, Niney et Marca architectes, agence Pierre-Antoine Gatier. Photo: Nicolas Brasseur / Pinault Collection. From left to right: — Luc TUYMANS Eternity, 2021 Oil on linen 314,9 × 275,4 cm Pinault Collection, — Franz WEST Lemurenköpfe, 1992 Plaster, gaze, cardboard, iron, acrylic paint, foam, rubber 4 elements: 243,8 × 127 × 121,9 cm ; 243,8 × 137,2 × 76,2 cm ; 218,4 × 124,5 ×

View of the exhibition “Le monde comme il va”, Bourse de Commerce – Pinault Collection, Paris, 2024. © Tadao Ando Architect & Associates, Niney et Marca architectes, agence Pierre-Antoine Gatier. Photo: Nicolas Brasseur / Pinault Collection. From left to right: — Luc TUYMANS Eternity, 2021 Oil on linen 314,9 × 275,4 cm
Pinault Collection, — Franz WEST Lemurenköpfe, 1992 Plaster, gaze, cardboard, iron, acrylic paint, foam, rubber 4 elements: 243,8 × 127 × 121,9 cm ; 243,8 × 137,2 × 76,2 cm ; 218,4 × 124,5 × 53,3 cm ; 221 × 109,2 × 73,7 cm Pinault Collection

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