PARNASS traf Philipp Hochmair

Jedermann im Gespräch

Philipp Hochmair © Stephan Brückler

Für die Neuinszenierung des „Jedermann“ in Salzburg zeichnet der kanadische Regisseur Robert Carson verantwortlich. Für die Titelrolle holte er Philipp Hochmair nach Salzburg. Wir trafen den Schauspieler in Wien.


Kunst hat sich im besten Fall immer zur Gegenwart geäußert

Philipp Hochmair

PARNASS: Jede Neubesetzung des Jedermann erfolgt unter großem medialem Interesse. Was befeuert die anhalte Begeisterung für das Stück?

PHILIPP HOCHMAIR: Der „Jedermann“ spricht das große Problem der Menschheit an, das momentan besonders akut zu sein scheint: Die Egomanie, in der die Menschen nur noch an sich denken und bereit sind, für ihren eigenen Vorteil alles kaputt zu machen. Im Stück geht es um einen rücksichtslosen Macher, der sich nicht um seine Mitmenschen schert, sich plötzlich fragen muss: Was habe ich hier eigentlich getan? War es richtig, wie ich gelebt habe? Er wird gezwungen innezuhalten und über sich nachzudenken. Und durch seine ehrliche Reue kann ihm sogar vergeben werden. Das macht dieses alte Moral-Stück so zeitgemäß: In dem unglaublichen Tempo der Welt täte uns allen ein solches Innehalten sehr gut.

P: Geht es also mehr um das Leben? Und darum, wie wir leben?

PH: Es geht darum, in welchem Bewusstsein man das eigene Leben und das seiner Mitmenschen wahrnimmt.

P: Ist es auch die Furcht vor dem Ungewissen, die in diesem Stück fassbar wird?

PH: Trotz moderner Zeiten, Social-Media und völlig neuen Einflüssen als vor 100 Jahren, wirft dieses ganz einfache Moral-Schauspiel immer noch Fragen zu den essenziellen Themen des Lebens auf: Wer bin ich? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch? Das sind Fragen, die die Menschen nicht erst seit Kant beschäftigen und die in der Bilder- und Informationsflut heute oft auf der Strecke bleiben. Wir blenden diese Fragen aus und denken in der Rasanz unseres Alltags nicht darüber nach.

Philipp Hochmair, Portrait © Stephan Brückler

Philipp Hochmair, Portrait © Stephan Brückler

Was kann Theater, was die digitalen Medien nicht können?

P: In deinen Bühnenperformances spielt Literatur eine zentrale Rolle. Seit 2013 stehst du mit „Jedermann Reloaded“ auf der Bühne. Du hast stets betont, dass du durch diese Rollen eine Entsprechung in der Literatur für deine jeweiligen Lebensphasen gefunden hast. Wie viel Wahrheit steckt in der Literatur?

PH: Ich fühle mich von diesen Geschichten und Sprachkonstruktionen sehr angezogen. Sie bieten mir mit ihren Wahrheiten und ihrer Energie eine Art Zuhause. Es ist also nicht „nur Theater“, denn das Theater bildet ja immer auch einen Teil der Wahrheit ab. Theater ist dafür da, das Leben zu erklären. Ich kann mich an ganz frühe Theaterbesuche erinnern, da haben sich in meinem Herzen plötzlich Knoten gelöst. Theater hat mir immer wieder Wege im Kopf eröffnet. In den Stücken, die ich adaptiere, thematisiere ich meine eigene Entwicklung in einer Art Spiegelbild, um sie in einen allgemeineren Kontext zu stellen und damit den Zuschauern, die sich vielleicht in einem ähnlichen Prozess befinden, die Möglichkeit zur Identifikation zu geben.

P: Dein Jedermann ist ein Rockstar, den du gemeinsam mit deiner Band Elektrohand Gottes oder – wie kürzlich im Wiener Stadtsaal – mit dem Medienkünstler Kurt Razelli performst. Wie sehr wird auch die Aufführung auf dem Salzburger Domplatz eine Neuinterpretation sein?

PH: Heutzutage müssen wir uns zwingend die Frage stellen: Was kann Theater, was die digitalen Medien nicht können? In der Ernsthaftigkeit von Robert Carsons Regiearbeit und in dem von ihm zusammengestellten Ensemble liegt eine große und einzigartige Chance, die Relevanz des Stückes, aber auch des Theaters per se zu zeigen. Mit der Zusammenarbeit mit Carson und dem Ensemble beginnt jetzt wieder etwas Neues, was für mich ganz anders sein wird als meine „Jedermann“-Versionen.

Philipp Hochmair, Jedermann reloaded, ® Heike Blenk

Philipp Hochmair, Jedermann reloaded, ® Heike Blenk

P: Du verknüpfst klassische Literatur mit einer zeitgenössischen Interpretation. Ist das eine Möglichkeit, uns wieder an die Ästhetik und Sprache dieser Zeit anzunähern, die uns heute nicht mehr geläufig ist und uns fremd erscheint?

PH: Die klassische Literatur wird immer mehr zu einer Parallelwelt, die man erst einmal aufsperren und die Menschen aktiv hineinholen muss. Als ich begonnen habe Theater zu machen, hat es gereicht, sie in einen neuen Kontext zu stellen. Heute fangen wir bei null an und müssen erst erklären, um was es bei dem jeweiligen Werk geht – das ist eine ebenso herausfordernde wie interessante Entwicklung! Mithilfe der musikalischen Ebene kann man für diese brillanten Texte eine zusätzliche Brücke bauen. Deutschlehrer sind mittlerweile meine größten Fans, weil sie es oft schwer haben, diese Literatur einer neuen Generation näherzubringen – da ist so ein Abend wie „Jedermann Reloaded“ eine gute Alternative. Da erlebt man Rockkonzert und Theaterabend in einem.

P: Heißt das, dass die Kunst an Wirkkraft verloren hat? Auf der anderen Seite erwartet man von ihr aktuell auch wieder, dass sie, übertrieben gesagt, die Welt retten oder sich zumindest zur Gegenwart äußern soll.

PH: Kunst hat sich im besten Fall immer zur Gegenwart geäußert und kann auch eine gewisse Orientierung sein. Wir sind heute an dem Punkt, an dem wir neue Schlüssel verteilen müssen, um die Menschen wieder für das Theater zu begeistern.

Philipp Hochmair & Die Elektrohand Gottes © Stephan Brückckler 

Philipp Hochmair & Die Elektrohand Gottes © Stephan Brückckler 


Dieser Text wurde gekürzt. Den ganzen Beitrag lesen Sie in unserer Sommerausgabe.

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