Große Schenkung an die Albertina

Gregory Crewdson – Retrospektive

Nach Joel Sternfeld zeigt die Albertina mit Gregory Crewdson einen weiteren international bekannten US-amerikanischen Fotografen.


Gelang es Sternfeld absurde Geschichten, die sich real tatsächlich abgespielt haben, einzufangen, inszeniert Crewdson mit großem Aufwand fotografische Sets in den Kulissen amerikanischer Kleinstädte – rätselhafte Szenen, die als psychologische Vermessungen der Gesellschaft verborgene Ängste, Sehnsüchte und Abgründe sichtbar machen. Nun schenkte Crewdson der Albertina 182 Werke aus wesentlichen Serien seines Œuvres. Eine große Auszeichnung für das Museum, dessen Kompetenz und Sammlungsbestand im Bereich Fotokunst international – nicht zuletzt durch die engagierte und professionelle Arbeit des Sammlungsleiters Walter Moser – einen veritablen Ruf genießt.

Die Ausstellung ist als Retrospektive angelegt und präsentiert anhand von neun Werkserien einen Überblick über das Schaffen des 1962 in Brooklyn, New York geborenen Künstlers. Bereits Crewdsons Abschlussarbeit an der Yale University School of Art „Early Work“ (1986–1988) zeigt jene Parameter, wie Inszenierung, Lichtführung und Motivwahl, die auch später seine fotografische Praxis prägen sollten. Crewdson fotografierte die Serie unter anderem im US-amerikanischen Bundestaat Massachusetts, nahe der Kleinstadt Lee, in deren Nähe die Familie ein Haus besitzt. Er inszenierte die Personen im Kontext ihrer häuslichen Umgebung, transformiert jedoch die realen Orte in mysteriöse, unheimliche Szenen. Ob er dabei tatsächlich die emotionale Stimmung in diesen Familien eingefangen hat, die er gespürt oder erlebt hat, oder ob sie „nur“ ein Arrangement des Fotografen ist, bleibt im Unklaren. Crewdson selbst sagt, dass er bereits damals von Filmen wie David Lynch „Blue Velvet“ beeinflusst war, der zur gleichen Zeit in die Kinos kam. Lynch blickte darin wie auch Crewdson hinter die Kulisse der idyllischen Kleinstadtidylle und wird in der Folge zum wichtigen Referenzrahmen für den Künstler. Auf die Frage nach anderen Einflüssen nennt Crewdson bei der Pressekonferenz auch Fotografen wie Stephen Shore oder William Eggleston.

Gregory Crewdson. Morningside Home for Women, Eveningside series, digital pigment print, 2021-2022. Courtesy of the artist.

Zu sehen sind auch Crewdsons bekannteste Serien „Twilight“ (1998–2002) und „Beneath the Roses“ (2003–2008). Sie zeigen in großformatigen Bildern die für Crewdson typischen Stilmerkmale und Themen: Menschen in der Kleinstadt, in ihren Wohnungen, in einem scheinbar vertrauten Alltag. Doch sie wirken seltsam isoliert, ebenso sind die Straßenzüge nur spärlich bevölkert – Entfremdung und Hoffnungs- und Trostlosigkeit bestimmen die Atmosphäre seiner Bilder. Alles wirkt so, als wäre vor der Aufnahme etwas Tragisches passiert. Die Unwirklichkeit der Atmosphäre wird durch die technische Perfektion seiner Bilder noch mehr hervorgehoben.  Stets sind diese bis in das kleinste Detail ausgeleuchtet und gestochen scharf. Das Licht ist ein Mix aus Naturlicht und Kunstlicht. Das Motivrepertoire variiert nur mäßig und durchzieht vielfach mehrere Serien und gleicht damit ein wenig modulhaft eingesetzten Requisiten. Das macht der Durchgang durch die Ausstellung nur allzu deutlich. 

Gregory Crewdson, Untitled, aus der Serie "Benath the roses", 2003–2008, Digital Pigment Print,  ALBERTINA Museum, Wien  – Dauerleihgabe, Privatsammlung, Foto: © Gregory Crewdson

Gregory Crewdson, Untitled, aus der Serie "Benath the roses", 2003–2008, Digital Pigment Print,  ALBERTINA Museum, Wien  – Dauerleihgabe, Privatsammlung, Foto: © Gregory Crewdson

Selbst bei der persönlichsten Werkgruppe des Künstlers, „Cathedral of the Pines“, die nach einer Zeit der persönlichen und künstlerischen Krise entstand, inmitten der mächtigen Kiefernwälder in der Nähe der Stadt Becket in Massachusetts, wo Gregory Crewdson seit 2010 lebt, vermisst man einen Twist, der die Starre der Inszenierung durchbricht. Auch wenn Crewdson hier mit einem verhältnismäßig kleinen Team sowie minimalem Kunstlicht arbeitete. Als Darsteller:innen fungieren hier – agieren ist als Vokabel in den Bildern Crewdsons fast fehl am Platz – Personen aus der Familie und dem Freundeskreis. 

Gregory Crewdson, The Basement, From the series: Cathedral of the Pines, 2013–2014, Digital Pigment Print, ALBERTINA Museum, Wien – Dauerleihgabe, Privatsammlung, Foto: © Gregory Crewdson

Gregory Crewdson, The Basement, From the series: Cathedral of the Pines, 2013–2014, Digital Pigment Print, ALBERTINA Museum, Wien – Dauerleihgabe, Privatsammlung, Foto: © Gregory Crewdson

Inszenierungen wie in Hollywood Produktionen

Crewdsons Bilder sind großes Kino – sowohl aufgrund ihrer aufwendigen Inszenierung, als auch hinsichtlich ihres langen Realisierungszeitraums. Der Künstler arbeiten mit einem Team aus Spezialist:innen für Casting, Kostüm, Technik und Art Department und bereitet die Sets wie für einen Film mittels Architekturmodellen, Storyboards, Szenenskripts und Locationshots akribisch vor. Die Innenaufnahmen entstehen meist nicht an realen Orten, sondern in aufgebauten Räumen in Studios. Für die Außenaufnahmen lässt er die Locations nach seinen Vorstellungen umgestalten. Interessant ist dabei, dass Crewdson stets Orte in der Umgebung seines Heimatortes Massachusetts wählt, weil er, wie er erzählt, die Vertrautheit dieser Orte schätzt.

Ich verbinde mit diesen Bildern, die alle in Massachusetts entstanden sind, wo ich lebe, ein tiefes Gefühl. Es sind Orte die wichtig sind für meine Kunst und für mein Leben –zwei separate Bereiche, die aber in gewisser Weise miteinander verbunden sind.

Gregory Crewdson
Gregory Crewdson, Untitled, aus der Serie" Twilight", 1998-2002, Digital pigment print, ALBERTINA Museum, Wien – Permanent loan, Private Collection, Foto © Gregory Crewdson

Gregory Crewdson, Untitled, aus der Serie "Twilight", 1998-2002, Digital Pigment Print, ALBERTINA Museum, Wien – Dauerleihgabe, Privatsammlung, Foto  © Gregory Crewdson

Zeitlose "Single-Frame-Movies"

Von jeder Szene nimmt Crewdson viele Fotos mit unterschiedlicher Schärfeeinstellung auf, die in mehrmonatiger und aufwendiger Postproduction zu einem Bild kombiniert werden. Durch diese Layers wird auch die für Crewdson typische Tiefenschärfe erreicht, die einen hyperrealen Eindruck erweckt. Crewdson bezeichnet in Bezug auf den Herstellungsprozess, seine Fotoarbeiten auch als „Single-Frame-Movies". Sein Fokus im Arbeitsprozess liegt auf der Inszenierung – seit Jahren überlässt er den technischen Teil der Fotografie den Kameramann Richard Sands, der unter anderem mit Steven Spielberg oder Francis Ford Coppola arbeitete. Film und Malerei wie jene von Edward Hopper prägen Crewdsons Bildkomposition bis heute, wobei sich mittlerweile auch umgekehrt die Filmwelt Anleihen an der Formensprache Crewdsons nimmt. Seine Bilder werden stets als zeitlos beschrieben, tatsächlich lässt sich kaum Jahres- oder Tageszeit festmachen. Doch transportieren sie eine zeitimmanente Ästhetik – die stets ein wenig in der Vergangenheit hängen bleibt oder diese, wie in den interessanten Serien „Sancturay“ (2009) und „Hoover“ (1996/97), die sich ein wenig von den anderen Arbeiten absetzen, sogar zum Bildinhalt machen.

Gregory Crewdson, Untitled, aus der Serie "Sanctuary, 2009, Digital Pigment-Print, ALBERTINA Museum, Wien – Courtesy of the Artist, Foto: © Gregory Crewdson

Gregory Crewdson, Untitled, aus der Serie "Sanctuary, 2009, Digital Pigment Print, ALBERTINA Museum, Wien – Courtesy of the Artist, Foto: © Gregory Crewdson

So fällt einem auch in der Serie „An Eclipse of Moths“, die während der Präsidentschaft Donald Trumps entstand, und laut Walter Moser Crewdson ausdrücklich soziale Kritik formuliert, die Vehemenz der Gegenwart auf. Aufgenommen wurden die Bilder in Pittsfield in Massachusetts, wo die dort ansässige Firma General Electric, in der viele Bewohner:innen gearbeitet haben, in den späten 1980er-Jahren geschlossen wurde. Sie hinterließ nicht nur hoher Arbeitslosigkeit, sondern auch eine zerstörte Umwelt. Die Stadt wird von Crewdson zum allgemeinen Symbol vernachlässigter postindustrieller Orte inszeniert. Doch gleicht das Repertoire dieser Bilder durchaus in Motivwahl und Bildkonzeption früheren Serien, wenngleich die Fragilität und Gebrechlichkeit einer Gesellschaft stärker betont wird. So setzt Crewdson die in brillanten Farben wiedergegebenen Lichtstimmung in Kontrast zu den desolaten Objekten des Lebensalltags. Doch stets wirken seine Protagonist:innen in diesem Szenario wie eingefroren, handlungsunfähig, – der Welt und ihrem Übel ausgesetzt.

Gregory Crewdson, Starkfield Lane, aus der Serie "An Eclipse of Moths", 2018–2019, Digital pigment print, ALBERTINA Museum, Wien – Dauerleihgabe, Privatsammlung, Foto: © Gregory Crewdson

Gregory Crewdson, Starkfield Lane, aus der Serie "An Eclipse of Moths", 2018–2019, Digital Pigment Print, ALBERTINA Museum, Wien – Dauerleihgabe, Privatsammlung, Foto: © Gregory Crewdson 

Sie scheinen durchwegs ihren Halt im Leben verloren zu haben. Interessant ist Gregory Crewdsons jüngste Serie „Eveningside“ (2021/2022) eine atmosphärische Schwarz-Weiß-Arbeit, der abschließende Teil seiner Trilogie, die sich mit sozialpolitischen Schattenseiten der Gesellschaft, befasst. Darin hält er die Menschen oftmals bei ihrer Erwerbstätigkeit fest. In absolutem Stillstand verharrend, erscheinen sie in ihren jeweiligen sozialen Kontexten gefangen. Deutlich wird in Crewdsons Bildern, dass das Ideal des American Dream gescheitert ist – und nicht erst jetzt – Crewdson zeigte uns das bereits in seinen Bildern der späten 1980er-Jahre.

Albertina

Albertinaplatz 1, 1010 Wien
Österreich

Gregory Crewdson
Retrospektive

bis 8. September

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