Vorreiter des Expressionismus

Auf Tauchgang in Gauguins Farbenwelt

Paul Gauguins Œuvre reicht von Postimpressionismus bis zur Moderne, von der Malerei über die Grafik bis zur Skulptur. Das Kunstforum Wien widmet dem Ausnahmekünstler eine Retrospektive.


 

Ausdrucksstarke Personen vor flächigem, farbintensivem Hintergrund, der Blick der Dargestellten meist dem Betrachter abgewandt, das sind wesentliche Wiedererkennungsmerkmale der Malerei des 1848 in Paris geborenen Künstlers Paul Gauguin. Mit der Auswahl der gezeigten Arbeiten wird die Kuratorin Evelyn Benesch dem Untertitel „Unexpected“ gerecht. Die Schau ist übrigens die erste Gaugin-Retrospektive in Österreich seit 1960.

Eine „unverwässerte“ Ausstellung des Lebenswerkes von Paul Gauguin war ein langgehegter Wunsch des Teams rund um Direktorin Ingried Brugger, erzählt die Kuratorin. Wegen der Corona-Pandemie, aber auch infolge des Kriegs in der Ukraine musste die Idee immer wieder auf Eis gelegt werden, denn viele Arbeiten Gaugins befinden sich in Russland. Jetzt ist es aber doch gelungen: „Wir können eine wunderbare Geschichte erzählen“, so Brugger. „Wir haben eine ganze Menge hochkarätiger Leihgaben aus den großen US-amerikanischen und europäischen Museen, aber auch privaten internationalen Sammlungen und können Gauguin nicht nur als Maler, sondern auch als Grafiker und Bildhauer zeigen.“

Paul Gauguin Heugarben in der Bretagne, 1890 Öl auf Leinwand 74,3 x 93,6 cm National Gallery of Art, Washington Geschenk der W. Averell Harriman Foundation zum Gedenken an Marie N. Harriman

Paul Gauguin Heugarben in der Bretagne, 1890  Öl auf Leinwand 74,3 x 93,6 cm National Gallery of Art, Washington Geschenk der W. Averell Harriman Foundation zum Gedenken an Marie N. Harriman

 

ÜBER UMWEGE zur malerei

 

Anhand der Lebenslinien des Künstlers lässt sich die künstlerische Entwicklung gut nachvollziehen. Kurz nach der 1848er-Revolution wandert Paul Gauguins Familie für einige Jahre nach Peru aus. Etliche Jahre später zurück in Paris absolviert Gauguin seinen Schulabschluss, leistet Militärdienst als Matrose und macht dann eine Banklehre. Als durchaus erfolgreicher Anlageberater tätig, beginnt er neben seiner Familie –  er hat mit seiner Frau fünf Kinder – zu malen.

Bereits 1876 wird er mit einem Gemälde zum Pariser Salon zugelassen, mietet sich kurz darauf ein eigenes Atelier und lernt nach und nach die Künstler der damaligen Pariser Avantgarde kennen. Pissarro, Degas, Manet und Cézanne inspirieren ihn. Doch auch er selbst „bricht mit den Traditionen der Akademien, mit den Konventionen des 19. Jahrhunderts“, analysiert die Kuratorin.

Paul Gauguin Tahitianerinnen beim Baden, 1892 Öl auf Papier, auf Leinwand 109,9 × 89,5 cm bpk | The Metropolitan Museum of Art Robert Lehman Collection, 1975

Paul Gauguin, Tahitianerinnen beim Baden, 1892, Öl auf Papier, auf Leinwand, 109,9 × 89,5 cm, bpk | The Metropolitan Museum of Art Robert Lehman Collection, 1975

Immer wieder verbringt der Maler viel Zeit in der Bretagne. In Pont-Aven beispielsweise. Es ist die Phase, in der er sich nach und nach vom Impressionismus löst und ein neuartiges Konzept von Malerei entwickelt. „Er geht ab von der Darstellung des rein Gesehenen und implementiert seine innere Vorstellung. Es geht ihm um eine Malerei, die Emotionen transportieren soll, Stimmungen, Visionen – den Synthetismus.“

Der französische Künstler Émile Bernard ist damals mit ihm in regem Austausch, aber „Gauguins Malerei ist viel aussagekräftiger, überzeugender“, so Benesch, und so kommt es letztlich zum Bruch zwischen den beiden. Ähnlich auch mit Vincent van Gogh, der Gauguin zum gemeinsamen Arbeiten nach Arles einlädt. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Einstellungen zur Malerei in der bekannten dramatischen Auseinandersetzung endet.

Paul Gauguin Wiese auf Martinique, 1887 Öl auf Leinwand 67 x 114,5 cm Arche Noah Museum © Dipl. Restauratorin Julika Ullmann, 2023

Paul Gauguin, Wiese auf Martinique, 1887, Öl auf Leinwand, 67 x 114,5 cm, Arche Noah Museum, © Dipl. Restauratorin Julika Ullmann, 2023

 

bilder aus dem KOLONIAL-PARADIeS

 

Tahiti und Martinique sind Sehnsuchtsorte des Künstlers und Zivilisationsflüchtlings Paul Gauguin. Hier entstehen „außergewöhnliche Bilder in wunderbaren Farben, die uns eine ferne, tropische Welt vermitteln, und hier vollendet sich auch seine Rolle als Vorreiter des Expressionismus“, erklärt Evelyn Benesch.

In Tahiti genießt Gauguin die Vorteile des Kolonialismus. Davon zeugen unter anderem seine Beziehungen zu jungen Mädchen, die oft zu Modellen werden.

Eines der Herzstücke der Ausstellung ist die sogenannte „Volpini-Suite“. Benannt nach dem Besitzer eines Cafés, in dem die Abfolge von zehn Motiven erstmals gezeigt wurde, sind die Blätter „das Manifest einer flächigen, abstrahierten Malerei“, sagt Evelyn Benesch. Es handelt sich um Zinkographien, ein günstiges Druckverfahren auf Zink- statt auf Steinplatten, die Gauguin auf gelbem Papier abgezogen hat.  

Paul Gauguin, Der Samen der Areoi, 1892, Öl auf Jute, 92,1 x 72,1 cm, © The Museum of Modern Art, New York. The Wil- liam S. Paley Collection, 1990, Digitales Bild: The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence

Paul Gauguin, Der Samen der Areoi, 1892, Öl auf Jute, 92,1 x 72,1 cm, © The Museum of Modern Art, New York. The Wil- liam S. Paley Collection, 1990, Digitales Bild: The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence

 

Beeindruckend und auch „unexpected“ ist die Auswahl der Holzschnitte und Tongefäße, in denen der Künstler seine ganze Palette an Motiven, Figuren und Landschaften abbildet.

Was Kuratorin Evelyn Benesch, die sich seit Langem mit dem Œuvre von Paul Gauguin beschäftigt, besonders beeindruckt, fasst sie so zusammen: „In der frühesten Schaffensphase arbeitet er impressionistisch mit kurzen, kleingesetzten Pinselstrichen. Dann verfestigt sich das Ganze, es wird dichter, die Bilder werden konstruiert und die Oberflächen geschlossen. In den Tropen kommen die Farben als Ausdrucksträger dazu. Paul Gauguin bricht Grenzen auf.“

1903 stirbt der Künstler, ohne zu Lebzeiten große Anerkennung genossen zu haben.

Paul Gauguin, Gefäß mit bretonischem Mädchen, Schaf und Gänsen, 1886/87, Steingut, 13,5 x 18 x 9 cm, Ny Carlsberg Glyptotek, Kopenhagen, © Ole Haupt

Paul Gauguin, Gefäß mit bretonischem Mädchen, Schaf und Gänsen, 1886/87, Steingut, 13,5 x 18 x 9 cm, Ny Carlsberg Glyptotek, Kopenhagen, © Ole Haupt

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GAUGUIN: UNEXPECTED

03.10.2024 bis 19.01.2025